Wie unterscheiden sich Schulmedizin und Komplementärmedizin
Die Schulmedizin fokussiert sich in der Regel auf die Behandlung von Symptomen und Veränderungen am oder im Körper. Die Komplementärmedizin dagegen setzt bei der Behandlung von Symptomen auf einen ganzheitlichen Ansatz. Sie will ein Gleichgewicht zwischen Körper, Geist, Seele und Umwelt herstellen. Die komplementärmedizinische Behandlung erfordert meist auch eine Verhaltensänderung des Patienten/der Patientin. Wenig ausrichten kann die Komplementärmedizin normalerweise bei akuten Notfällen, hier kommt grösstenteils die Schulmedizin mit ihren typischen Stärken zum Einsatz. Oft lassen sich Schul- und Komplementärmedizin bestens miteinander kombinieren und können sich so mit ihren jeweiligen Stärken ergänzen.
Den Unterschieden zwischen Schul- und Komplementärmedizin gehen wir zusammen mit Dr. med. Simon Feldhaus noch etwas tiefer auf den Grund. Simon Feldhaus ist Chefarzt am Paramed Zentrum für Komplementärmedizin in Baar. Er ist schulmedizinisch ausgebildet, hat sich aber schon früh für die Komplementärmedizin interessiert und auf dem Gebiet fortlaufend weitergebildet. Er vereint also die beiden Seiten der Medizin auch in seiner Person.
Simon Feldhaus eine Frage gerade zum Start: Es gibt verschiedene Begriffe für die Komplementärmedizin, neben Komplementärmedizin sprechen einige Menschen auch von Alternativmedizin, Ganzheitsmedizin oder Erfahrungsmedizin. Meinen diese Begriffe alle vier dasselbe oder gibt es da eventuell doch feine Unterschiede?
Letzten Endes haben alle Begriffe die gleiche Bedeutung. Es geht um eine ganzheitliche Betrachtung zur Betreuung und Behandlung von Menschen im Sinne der Prävention oder der Therapie von Krankheiten.
Komplementärmedizin setzt sich aus einem breiten Spektrum von Modellen zur Entstehung von Krankheiten und deren Behandlung zusammen die definitionsgemäss komplementär, also ergänzend zur klassischen Medizin eingesetzt werden.
Alternativmedizin würde sich dahingegen als Therapie anstelle der Schulmedizin verstehen.
Ganzheits- oder Erfahrungsmedizin und neuerdings Regulationsmedizin sind am Ende andere Begriffe für Komplementärmedizin und sollen den Ansatz der individuell vernetzten Denkweise darstellen.
Regulationsmedizin zielt daraufhin, die individuellen vernetzten Prozesse durch verschiedene therapeutische Verfahren zu unterstützen. Ziel ist es, die Ursachen der auftretenden Fehlfunktionen zu erfassen und die jeweils gestörte Funktion wieder zu regulieren und somit wieder zu einem normalen Funktionieren des Gesamtsystems zu kommen.
Gibt es eigentlich bei allen Behandlungen immer eine klare Abgrenzung zwischen Schul- und Komplementärmedizin oder ist da der Übergang teilweise auch fliessend?
Alle Therapieverfahren zielen ja darauf hin, bei einem gestörten Funktionssystem wieder zu einer normalen Funktion zu gelangen.
Die Schulmedizin folgt hier einem klaren linearen Ursachen Wirkungsdenken und beeinflusst auf dieser Ebene Biochemische Abläufe oder blockiert überaktive Mechanismen wie beispielsweise Entzündungen. Oft ist das Ziel ein gestörtes System zu normalisieren, ohne unbedingt die Ursache zu erkennen, beispielsweise werden Immunabläufe einer Allergie blockiert damit die Allergiesymptome verschwinden. Warum die Allergie überhaupt entstand, ist hier irrelevant.
Dies könnte aber auch durch einen indikationsbezogenen Einsatz mit Phytotherapie erfolgen, so dass hier am Ende kein Unterschied zu erkennen wäre.
Komplementäre Behandlungen würden die Frage nach der Ursache von Krankheiten oder Symptomen versuchen zu lösen und diese ursächlichen Störungen behandeln. Bei einer Allergie beispielsweise durch Behandlung einer gestörten Darmflora oder durch Ausleiten einer Belastung mit toxischen Metallen.
Insofern gäbe es von der Theorie hier relativ klare Abgrenzungen aber gewisse Methoden der Komplementärmedizin sind vergleichbar vom Ansatz her wie die Schulmedizin.
Welche Unterschiede bestehen bei den Behandlungsansätzen zwischen Schul- und Komplementärmedizin?
Eine Schulmedizinische Therapie beruht darauf durch körperexterne Einflüsse und Massnahmen heilend oder koorigierend einzugreifen. Dies kann durch den Einsatz von Medikamenten oder auch Operationen erfolgen. Krankhafte Prozesse werden entfernt oder gestoppt, respektive beeinflusst.
Diese Massnahmen funktionieren auch ohne «Mitwirkung» des Organismus im Sinne einer eigenständigen Wirkung.
In der Komplementärmedizin hingegen sucht man gezielt nach vernetzten Ursachen für Symptome oder Krankheiten und therapeutisch werden primär die körpereigenen Ressourcen gestärkt oder aktiviert was man als «Selbstheilungskräfte» beschreibt. Somit steht nicht primär die Krankheit oder das Symptom, sondern der Mensch im Vordergrund. In diesem Sinne kommt dem zu behandelnden Menschen eine wesentlich aktivere Rolle zu. Plakativ gesagt, versucht die Schulmedizin den Ertrinkenden zu retten, während ihn die Komplementärmedizin zum Schwimmen befähigt.
Auf welche Grundlagen stützt sich die Schulmedizin und auf welche die Komplementärmedizin?
Die klassische Schulmedizin fokussiert sich auf messbare Ergebnisse, die mit naturwissenschaftlichen Methoden der Diagnostik erhoben werden. Die Grundlagen von Anatomie, Physiologie und Pathologie folgen dem Modell von Rudolf Virchow, also einer Theorie, die besagt, dass Krankheiten primär auf Störungen der Körperzellen basieren. Die Therapie besteht primär also aus chemischen Substanzen, die eine direkte Wirkung im Körper erzeugen, dazu die Methoden der Psychotherapie.
In der Komplementärmedizin gilt die Prämisse, dass der Mensch eine Einheit aus Körper, Geist und Seele bildet, die man nicht nur isoliert voneinander betrachten und behandeln sollte. Die ganzheitlich orientierte Medizin betrachtet nicht allein das erkrankte Organ oder isolierte Beschwerden, sondern den Patienten als Ganzes mitsamt seinem sozialen Umfeld.
In der Komplementärmedizin werden bevorzugt Mittel und Methoden angewendet, die in der Natur vorkommen mit dem Ziel gestörte Funktionen im Körper wieder in ein geordnetes Gleichgewicht bringen. Hierbei spielt auch die individuelle positive Erfahrung eine zentrale Rolle, weshalb der Begriff der Erfahrungsmedizin gerne auch in diesem Kontext gebraucht wird. Neben primär stofflichen Therapien werden vor allem auch informative, regulative und psycho-emotionale Behandlungen angewendet und dies in der Regel kombiniert.
Bei welchen medizinischen Problemen ist eher die Komplementärmedizin und bei welchen die Schulmedizin die bessere Wahl? Kannst du da vielleicht einige Beispiele nennen?
Grundsätzlich kann man sagen, dass die Schulmedizin vor allem bei akuten Problemen, akuten schweren Infektionen und Notfallsituationen ihre Stärken hat, während sich die Komplementärmedizin besonders bei chronischen und degenerativen Situationen bewährt hat.
Gute Beispiele für Indikationen der Schulmedizin sind:
akute Schmerzen, schwere Infektionen (wie z.B. Eine Lungenentzündung), hochakute Entzündungen (ein Schub einer MS) oder medizinische Notfallsituationen wie ein Herzinfarkt.
Gute Beispiele für Indikationen der Komplementärmedizin sind:
Allergien, chronische Hauterkrankungen, Verdauungsstörungen, psychische Erkrankungen, chronische Entzündungen, Abwehrschwäche, chronische Schmerzen und Multisystemerkrankungen wie CFS, Fibromyalgie, postviral fatigue etc.
Bei vielen Indikationen wäre aber vor allem die Kombination beider Methoden die optimale Version für den Patienten, ein besonders gutes Beispiel hier wäre die Onkologie.
Simon Feldhaus du hast es erwähnt, oft wäre eine Kombination zwischen Schul- und Komplementärmedizin der ideale Therapie-Ansatz. Weshalb bekommt man diesen Ansatz als Patient/Patientin häufig nicht? Oder warum bekämpfen sich Schulmediziner und Komplementärmediziner oft immer noch, statt zusammen zu arbeiten und das Beste für den Patienten/die Patientin herauszuholen?
Leider denken viele Mediziner (aber auch komplementärmedizinisch arbeitende Therapeuten und Ärzte!) gefangen in ihrem System. Die Schulmedizin erachtet die Evidence based medizin als einzig akzeptable Lösung und nur was mit Studien «bewiesen» wird gilt als wirksam. Viele Therapiemethoden der Komplementärmedizin lassen sich nur sehr begrenzt bis gar nicht mit Studien abbilden und falls doch, fehlt es an Geldgebern für die Studien.
Am Ende fehlt die Offenheit auch andere Sichtweisen, Methoden und Herangehensweisen zu akzeptieren oder zumindest zu diskutieren. Krampfhaft halten die Vertreter beider Methoden an «ihrer» Sichtweise als die einzig erlaubte fest. Zu oft wird nicht der Patient in das Zentrum gestellt, sondern das persönliche Ich-Streben mit dem Zwang der «anderen» Seite beweisen zu müssen, dass diese schlechter sei. Dabei erscheint die einzige sinnvolle Lösung, mit egal welcher Methode, für den Patienten das bestmögliche Ergebnis zu erreichen.
Und wie könnte man das aus deiner Sicht ändern?
Dazu müsste das Thema Toleranz gegen über anderen wieder ein zentraler Wert in der Gesellschaft werden. Genau dieses Thema hat in den Covid Jahren noch mehr gelitten und wurde beerdigt.
Die Ausbildung der Schulmediziner müsste die Komplementärmedizin gleichwertig beinhalten und Lehrstühle für Komplementärmedizin an den Universitäten die Komplementärmedizin auch in ihrer ganzen Ausprägung vermitteln und nicht nur auszugsweise oder minimal interpretiert.
Aber auch im Komplementärmedizinischen Sektor müssen absolutistische Ideen verschwinden (wie z. B: der Patient muss zuerst alle Medikamente absetzen, damit Homöopathie wirken kann).
Die Lösung wäre ganz einfach: Alle stellen den Patienten ins Zentrum, nicht die Methoden oder die eigene Arroganz.
Es gibt sehr viele unterschiedliche komplementärmedizinische Methoden. Wie behält man da als Patient/Patientin den Überblick? Bzw. wie findet man heraus, welches die richtige Methode für die eigenen gesundheitlichen Probleme sind?
Das ist effektiv ein grosses Problem. Für den Patienten als Laien ist es faktisch unmöglich aus dem Wust der Therapieangebote der Komplementärmedizin auszusuchen und zu entscheiden was für das jeweilige Problem die besten Optionen wären. Eine wirklich funktionierende Qualitätskontrolle existiert in der Komplementärmedizin nicht.
Am Ende muss man sich beraten lassen und einen persönlichen Eindruck gewinnen, ob die Person eine Methode oder sich selbst in der Vordergrund stellt oder das vorliegende Problem.
Weiterhin gilt es kritisch zu hinterfragen, ob ein Therapiekonzept vorhanden und auch erklärt werden kann. Letztendlich zählt die Verbesserung der subjektiven Beschwerden respektive die objektiv messbare Verbesserung (z.B. des Blutdruckes).
Welche Rolle spielt die Prävention (also die Gesundheitsvorsorge) in der Schul- und in der Komplementärmedizin?
In einem funktionierenden Gesundheitssystem müsste die Prävention, also die Gesunderhaltung absolut im Vordergrund stehen. Genau das ist aktuell nicht der Fall, im Gegenteil werden präventive Methoden oder Untersuchungen nicht von den Kassen erstattet. Wer viele kranke Menschen behandelt verdient mehr, als derjenige der gesunde Menschen gesund erhält. Hier müsste primär ein Gesinnungswandel erfolgen und daraus folgend auch ein Wandel im Hinblick auf Kostenerstattung im Gesundheitssystem.
Herzlichen Dank Simon Feldhaus für deine spannenden Erläuterungen zu den Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen Schul- und Komplementärmedizin.
In der Schweiz sind fünf Methoden der Komplementärmedizin in der Grundversicherung der Krankenkasse eingeschlossen und somit gesetzlich geregelt. Das bedeutet, diese fünf Methoden können, wie schulmedizinische Methoden nach dem Ärztetarif TARMED abgerechnet werden. Zu diesen fünf Methoden gehören:
- Akupunktur
- Anthroposophische Medizin
- Arzneimitteltherapie der Traditionellen Chinesischen Medizin
- Homöopathie
- Phythotherapie
Die Krankenkassen bieten aber auch noch komplementärmedizinische Zusatzversicherungen an. Diese bezahlen nicht nur Leistungen von komplementärmedizinischen Ärzten, sondern auch von Naturheilpraktikern und Therapeuten.
Links zum Thema:
Wir geben der Komplementärmedizin eine Stimme. - Dachverband Komplementärmedizin (dakomed.ch)
Unsere Podcast-Kanäle
- Autor/in:
- Simone Walther Büel
- Tags zum Bericht:
-
Unternehmenskommunikation
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